19/08/2021 von Verkehrsrecht
Geschwindigkeitsüberschreitung - Rechtfertigung durch Notstand
Die Fahrt eines Ehemannes (hier selbst Arzt) mit überhöhter Geschwindigkeit, um die schwangere und in akuter Lebensgefahr befindliche Ehefrau ins Krankenhaus zu bringen, stellt ohne weiteres keinen Notstand dar und ist folglich bußgeldbewehrt, wie das Oberlandesgericht Düsseldorf aktuell noch einmal klarstellte
Die Verletzung von Verkehrsvorschriften etwa durch Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit kann zwar grundsätzlich durch Notstand gerechtfertigt sein, wenn nur so die erforderliche schnelle Hilfe für eine schwer erkrankte oder verletzte Person geleistet werden kann (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 2. Mai 2005, 8 Ss-OWi 98/05; OLG Celle, Beschluss vom 1. Oktober 2014, 321 SsBs 60/14, jeweils veröffentlicht in Juris).
Eine Rechtfertigung durch Notstand setzt jedoch voraus, dass die Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit überhaupt ein geeignetes Mittel zur Gefahrenabwehr ist. Die Rechtfertigung einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch Notstand kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn der Betroffene nicht zuvor vergeblich einen anderen Ausweg aus der Notsituation, etwa die Anforderung von Notarzt und Rettungswagen, gesucht hat (vgl. OLG Celle, a.a.O; KG, Beschluss vom 2. April 1997, 2 Ss 78/97 - 3 Ws (B) 169/97; OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. März 2001, 2 Ws (B) 94/01 OWiG, jeweils veröffentlicht in Juris). Erst wenn besondere Umstände vorliegen, beispielsweise weil eine solche Rettung – etwa in besonders abgelegenen Gegenden – nicht zeitnah möglich ist, und die Geschwindigkeitsüberschreitung einen wesentlichen Vorteil im Interesse des Patienten bringt, der nicht außer Verhältnis zu der Gefährdung anderer Straßenverkehrsteilnehmer steht, kann eine solche durch Notstand gerechtfertigt sein
Angesichts der flächendeckenden Vorhaltung von Rettungswagen und Notarzteinsatzfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland ist der selbständige Transport einer lebensbedrohlich erkrankten oder verletzten Person mit einem privaten Personenkraftwagen in ein Krankenhaus nur bei Hinzutreten außergewöhnlicher Umstände – die hier ohne Zweifel nicht gegeben waren – eine geeignete Rettungsmaßnahme, zumal eine Versorgung des Notfallpatienten, selbst wenn es sich bei dem Fahrzeugführer um einen Arzt handelt, während der Fahrt nicht, zumindest aber nicht ohne ein mit einer erheblichen Zeitverzögerung verbundenes Anhalten möglich ist und notwendige Notfallmedikamente sowie eine medizinische Notfallausrüstung jedenfalls nicht im erforderlichen Umfang vorhanden sind, wie sie in einem Rettungswagen und einem Notarzteinsatzfahrzeug vorgehalten werden. Hinzu kommt, dass in einem Personenkraftwagen auch keine adäquate Lagerungsmöglichkeit des Notfallpatienten entsprechend der medizinischen Notwendigkeit gegeben ist.
OLG Düsseldorf, Urteil v. 8.3.2021, 2 RBs 13/21
Veröffentlichung:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/duesseldorf/j2021/2_RBs_13_21_Beschluss_20210308.html